Ein Bericht von Seán Thomas Cummins, Center for Autonomy Experience, Eurac Research
Im Oktober 2024 begrüßten das Institut für Vergleichende Föderalimsusforschung, das Center for Autonomy Experience, beide Eurac Research, und das Europäische Zentrum für Kurdische Studien (EZKS) eine Delegation syrischer Expert*innen in Bozen im Rahmen der Studienreise Politische Teilhabe in Südtirol: Inspirationen für den syrischen Friedensprozess, und ich hatte das Glück, dabei zu sein. Der dreitägige Besuch bot die Gelegenheit, in die einzigartige Geschichte, die kulturelle Landschaft und den Erfolg Südtirols in der Förderung der regionalen Autonomie einzutauchen – wertvolle Erkenntnisse für Regionen wie Syrien, die vor ähnlichen Herausforderungen in Bezug auf ethnische Vielfalt und Regierungsführung stehen.
Die Teilnehmenden erkundeten, wie Südtirol durch Jahrzehnte der Verhandlung und Zusammenarbeit zu einem Beispiel für regionale Autonomie wurde und zeigte, wie Minderheitenrechte und mehrsprachiges Zusammenleben in einem politischen Rahmen geschützt werden können.
Tag 1: Der historische Kontext und das politische System Südtirols
Die Reise der Delegation begann mit einer Einführung in die Geschichte Südtirols, gehalten von Josef Prackwieser. Von der Zeit vor der Annexion Italiens nach dem Ersten Weltkrieg, über die schwierigen Jahre der Italianisierung unter Mussolini, bis hin zum Pariser Vertrag von 1946 – der Weg Südtirols zur Autonomie war von Kämpfen, aber auch von Widerstandsfähigkeit geprägt.
Die Teilnehmenden lernten auch das politische System Südtirols kennen, wobei der Schwerpunkt auf dem Autonomiestatut lag, das weitreichende Rechte für die deutsch-, italienisch- und ladinischsprachigen Gemeinschaften garantiert. Diese von Elisabeth Alber und Carolin Zwilling geleiteten Diskussionen bildeten einen Ausgangspunkt für Überlegungen, wie ähnliche Systeme der politischen Inklusion auch in Syrien angewendet werden könnten. Der erste Tag endete mit einer von Prackwieser geleiteten Stadtführung durch Bozen.
Tag 2: Sprachenrechte und politische Repräsentation
Die Sprachenrechte stehen im Mittelpunkt der politischen Identität Südtirols. Ein Vortrag von Petra Malfertheiner beleuchtete, wie Südtirol seine mehrsprachige Verwaltung durch Bildung, Verwaltung und das tägliche Leben gestaltet. Die Delegation diskutierte Parallelen zwischen dem Ansatz Südtirols und der sprachlichen Vielfalt in Syrien, insbesondere der Rolle der kurdischen Sprache.
Anschließend wurde die Gruppe im Südtiroler Landtag von Harald Stauder herzlich empfangen. Danach stand ein Treffen mit Christoph von Ach, Generalsekretär der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino auf dem Plan. Die Gespräche boten den Teilnehmenden ein detailliertes Verständnis davon, wie regionale Autonomie in der Praxis funktioniert und wie wichtig grenzüberschreitende Zusammenarbeit für eine Provinz wie Südtirol ist.
Tag 3: Minderheitenrechte und europäische Verbindungen
Am letzten Tag der Studienreise wurde der Fokus erweitert, um die Beziehungen Südtirols zu Rom, Österreich und dem weiteren europäischen Kontext des Minderheitenschutzes zu untersuchen. Günther Pallaver und Marc Röggla gaben Einblicke, wie das Autonomiemodell Südtirols durch seine Interaktionen mit Nachbarstaaten und anderen Regionen und Provinzen innerhalb Italiens geprägt wurde und wie der Minderheitenschutz in Italien und Europa aussieht.
Ein Highlight der Reise war der Besuch in St. Ulrich, einem wunderschönen Dorf im Herzen Ladiniens, wo die Delegation Bürgermeister Tobia Moroder traf. Er brachte der Gruppe die Entwicklung der ladinischen Minderheit in Südtirol näher und zeigte, dass auch die kleinsten Sprachgemeinschaften bei angemessenem Schutz aufblühen können.
Wichtige Erkenntnisse: Anwendung des Südtiroler Modells auf Syrien
Während der gesamten Studienreise reflektierte die syrische Delegation über die Lehren, die Südtirol für ihren eigenen Kontext bietet. Autonomie, Minderheitenrechte und Dezentralisierung waren die wiederkehrenden Themen in den Diskussionen. Trotz der erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Regionen erkannten die Teilnehmer, dass Südtirols Erfahrung im Umgang mit ethnischer Vielfalt und der Erreichung politischer Stabilität ein Modell für Syrien nach dem Krieg bieten könnte.
Die syrischen Gäste äußerten großes Interesse daran, wie diese Prinzipien angepasst werden könnten, um Frieden und Stabilität in ihrer Heimat zu fördern, auch wenn die Unterstützung für die Dezentralisierung in Syrien derzeit begrenzt ist.
Ein Weg nach vorne
Als die Delegation Bozen verließ, war ein Gefühl des Optimismus spürbar. Der Weg Südtirols bietet nicht nur eine Lektion im Minderheitenschutz, sondern auch in der Kraft des Dialogs und der inklusiven Regierungsführung. Mein besonderer Dank gilt der syrischen Delegation, dem EZKS, dem Center for Autonomy Experience und natürlich den engagierten Dolmetscher*innen, die diese wichtigen Gespräche ermöglicht haben.
Dieser Austausch hat gezeigt, dass die Herausforderungen von Regionen, die mit Vielfalt und Konflikten zu kämpfen haben, durch Zusammenarbeit, gegenseitigen Respekt und das Engagement für demokratische Prinzipien überwunden werden können.
Durch die Betonung politischer Teilhabe, Minderheitenschutz und interkulturelles Lernen bietet diese Studienreise Hoffnung, dass die Geschichte Südtirols als Wegweiser für diejenigen dienen kann, die in anderen Teilen der Welt auf Frieden hinarbeiten.